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Amor fati – Friedrich Nietzsche und das Schicksal

„Ich will immer mehr lernen, das Nothwendige an den Dingen als das Schöne sehen: – so werde ich Einer von Denen sein, welche die Dinge schön machen“, so schrieb Friedrich Nietzsche 1887 in seinem Werk „Die fröhliche Wissenschaft“. Amor fati – die Liebe zum Schicksal soll dabei der Schlüssel zu dieser hohen Kunst sein. Doch was steckt hinter dieser auf den ersten Blick doch so kryptisch anmutenden Maxime? Wie lässt sich gerade in diesen doch so unruhigen, unsicheren Zeiten das eigene Schicksal noch lieben – und vor allem: Darf man sein eigenes Schicksal noch lieben?

Panta rhei. Alles fließt. Diese Einsicht, dass alles Bewegung ist, dass alles dynamische Veränderung ist, herrscht schon seit dem antiken Denken mit Heraklit vor. Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, denn die Veränderung ist die einzige Konstante und formt die Wirklichkeit stetig neu. Nietzsche greift diese Formel auf, bedient sich ihrer und radikalisiert sie. Sein Denken ist geprägt von dem Gedanken des Wandels; die Welt selbst besteht in einem ewigen Wandel. Doch in ebenjenem Wandel sieht Nietzsche auch einen pólemos (lat. Kampf/Krieg). Alles will bestehen, über sich hinauswachsen und muss dafür anderes unterwerfen. Diesen Wunsch, zu bestehen, nennt Nietzsche den „Willen zur Macht“ und dieser liegt allen Dingen, die existieren, zugrunde. Doch da der Kampf zwischen den Dingen mit steter Beständigkeit tobt, verlagern sich die Zentren der Macht auch konstant aufs Neue. Überwerfen sich und ordnen sich neu an – sind im Fluss. Die Wirklichkeit ist dynamisch!

Doch Nietzsches Denken geht sogar noch weiter. In einem komplexen Gedankenexperiment denkt er die weitere Konsequenz seiner Einsicht. In diesem Würfelspiel des Lebens können die Möglichkeiten an Veränderungen nicht unendlich sein. Auch wenn diese sehr zahlreich scheinen, muss es sich hierbei um eine kalkulierbare Anzahl handeln. Alles in der Kausalkette wird passieren, doch sind alle möglichen Kombinationen durchgespielt – so bleibt nur, dass die Kausalkette wieder von vorne beginnt. Denn, würfelt man einen Würfel unendlich oft, so wird sich dieselbe Kombination an Zahlen irgendwann wiederholen. Was bedeutet dies nun? Es bedeutet, dass alles stetig wiederkehren wird. Jeder Augenblick. Diesen Gedanken nennt Nietzsche „das größte Schwergewicht“, denn seine Konsequenz ist nur schwer zu ertragen – scheint alles zu relativieren. Leise haucht er uns den Nihilismus in das Ohr und scheint mit seinem Atemstoß allem seinen Sinn zu berauben.  Doch wer ist der Mensch in diesem Gedankenexperiment? Was bedeutet diese ewige Wiederholung für das Individuum?

Da bei Nietzsche alles dynamisch ist, ist auch der Mensch selbst der Veränderung unterworfen. Der Mensch ist suchend; ein irrendes Wesen. Es gibt nichts, das ihn von vorneherein definiert. Kein zugrundeliegendes Wesen, keine Essenz. Bei Nietzsche wird die Inschrift des Apollotempels „erkenne dich selbst“ – eine Weisheit, die zuvor in der Philosophie angestrebt wurde – umgeformt in „werde, was du bist“. Wir Menschen sind stets das, wozu wir uns selbst interpretieren. Wir sehen uns dazu aufgefordert, uns selbst zu entwerfen. Das erfordert, dass wir uns jeden Augenblick selbst wählen. Und da jeder Augenblick auf ewig wiederkehren wird, müssen wir jeden Augenblick auch vor dem Hintergrund wählen, dass wir ihn wieder und wieder durchleben werden. Wir sind durch unsere eigenen Entscheidungen determiniert und doch sind wir es, die diese Entscheidungen jederzeit fällen. Das abstruse Gedankenexperiment hat also eine moralische Konsequenz. Durch diese Bejahung des Lebens werden auch wir zum Willen der Macht, stellen uns dem Nihilismus – dem großen Umsonst – entgegen, setzten unsere eigenen Werte in dieser gottlosen, gottverlassenen Welt.  Das ist der Übermensch für Nietzsche.

Doch diese Selbstwahl – gerade vor dem Gedanken der ewigen Wiederkehr des Gleichen – fällt nicht unbedingt immer leicht. Wozu das alles, wenn durch die Wiederholung alles als Umsonst erscheint? Nur zu leicht lässt es sich in eine bloße Skepsis fallen, in die Schwere. Oder aber im Umkehrschluss alles als zu leicht zu nehmen. Das stete Drehen im Kreis als ein befreiendes Mitschwingen zu betrachten. Ein Wegblicken vor dem Abgrund. Beide Auffassungen sind für Nietzsche einseitig. Sein Übermensch hat sich den Überdruss an der endlosen Wiederholung des Lebens ohne Ziel und Differenz einverleibt. Er hat die lähmende Skepsis erfahren, weiß um den Abgrund und hat ihn überwunden. Es findet eine Verwandlung statt. Gleich einem Kind, sollen wir spielend unser Schicksal begrüßen und bejahen. Doch dieses Spiel ist kein Wegblicken, es ist offen für Neues.

Doch amor fati ist noch mehr als das. Der moralischen Implikation des Gedankens soll noch eine ästhetische Konstante hinzugefügt werden. Er fordert uns auf zu lernen, die Dinge als schön zu betrachten. Auch das Notwendige soll geliebt und unter einem ästhetischen Blickwinkel betrachtet werden – so werden wir lernen, uns wohlzufühlen. Es ist eine Überwindung des Nihilismus, eine Aufforderung zum dionysischem, rauschhaftem Dasein, das gegen die reine apollinische Vernunft steht.

Was also können wir von Nietzsche lernen? Auch ohne seinen abstrakten Gedankengang der ewigen Wiederkehr annehmen zu müssen, können wir von Nietzsche lernen, Verantwortung für unser eigenes Schicksal zu übernehmen. Wir können lernen, uns gegen einen Pessimismus zu entscheiden und unser eigenes Leben – jeden Augenblick – zu bejahen. Und zwar ohne das Schwere zu ignorieren und davon wegzublicken. Es erfordert Mut, unser Schicksal trotz manch einer Last zu lieben und anzunehmen. Seien wir ein wenig mutig.

Amor fati.

Bild: unsplash.com

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