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Ich rauch, du trinkst Espresso an der Bar

Früher mochte ich keine Süßigkeiten mit Zitronengeschmack. Ich fand immer, die schmeckten wie ein Klostein riecht. Und warum essen die Menschen so Zeug wie Zitroneneis, wenn es auch Doppel-Schoko-Cookie-mit-Kinder-Bueno-Stücken-Eis-übergossen-mit-Nutella gibt? Und irgendwann sitz ich dann da in Monaco, dem letzten Ort der Welt an dem ich dachte etwas zu finden, nachdem ich nicht wissentlich gesucht hatte, und bestell aus einem internen, seltsamen, nie da gewesenen Reflex eine Zitronen-Tarte. Verwirrt versuche ich den Gedanken bis zu seinen Wurzeln zurückzuverfolgen. Als ich in die Zitronen-Tarte reinbeiße verstehe ich irgendwas, auch wenn ich bis jetzt nicht weiß, was. Die Jause, die wir in der Früh noch gekauft hatten, war an der dritten Raststätte schon weg. In den Pausen an den Raststätten rauche ich und du trinkst Espresso an der Bar.   

CASTAGNOLE

In der Bar am Hauptplatz der italienischen Kleinstadt herrscht Stimmengewirr, die Sonne scheint schräg durch die Fenster. Es riecht nach Kaffee und Süßwaren. Du bestellst einen Cappuccino und ein Cornetto al Pistacchio und fragst, ob ich auch was will. Ich sag nein, du fragst „Sicher?“, ich sag „Nein. Ich will das da.“ Das da nennt sich Cagstagnole und sieht aus wie ein Faschingskrapfen in ganz klein, gefüllt mit einer puddingartigen Vanillecreme. Es schmeckt so, dass man lächelt, wenn man reinbeißt. Später betrachte ich das Meer und denke wie jeder Mensch, der das Meer betrachtet, darüber nach, was es am Meer ist, das uns dieses Gefühl gibt. Und wie jeder Mensch denke ich in einem prometheischen Gefühl der Gewalt und Größe der ozeanischen Wassermassen gegenüberstehend: „Das Meer ist so unendlich, und kraftvoll, ich so unbedeutend klein, … und doch fühlt es sich an, als würde ich gerade etwas erleben, das niemand vor mir erlebt hat.“ Es ist dieses Gefühl, als wäre man gerade dem Lüften eines Geheimnisses sehr nahe. Und man fragt sich, ob die Menschen, die das Meer jeden Tag sehen, von dieser Wahrheit weiter weg sind als man selbst in diesem Moment des Staunens und des Unglaubens über diesen blauen Teppich, der sich da unter Zitronenbäumen und Steilen Klippen erstreckt, oder ob sie die Antwort kennen, worauf ich gerade erst der Frage auf der Spur bin. Die meisten Fenster der umstehenden Häuser sind zu und ich denke so, du kannst doch nicht deinen Wäscheständer mit deinen alten Socken auf deinen Balkon stellen … Da ist doch das Meer? Schau doch, das Meer? Meer? Meer? Vielleicht sieht man das irgendwann gar nicht mehr. Zumindest nicht auf diese kindliche Art und Weise, auf die man das Meer immer wieder zum ersten Mal zu sehen scheint nach gefühlt ewig langer Zeit. Ein*e alte*r Bekannte*r, dem*der man erzählen will, was passiert ist seit dem letzten Mal. Das Meer ist viel blauer als das letzte Mal als ich es sah und ich weiß, es ist viel passiert, wir haben uns beide verändert, sind nie stillgestanden.

ECLAIRE

Im Innenhof feiern Leute und grillen, einige französische Wortfetzen werden von der salzigen, warmen Meeresluft durch die Fenster in die Dachgeschoßwohnung getragen. Es wird langsam Abend und wir essen Eclaire mit Schokoladenfüllung im Abendlicht. Wir sind zuvor ewig im Bett gelegen, ins Museum und später langsam durch die engen Gassen gegangen. (Okay, wir sind schon „geschlendert“ aber das klingt immer so erwachsen.) Im Museum bleibe ich vor den Portraits länger verweilen, weil ich meine, aus den Gesichtsausdrücken der Menschen etwas über ihr Leben damals erzählt zu bekommen. In einem versteckten Laden in einer Gasse spielt die betagte Verkäuferin mitwippend eine Oper von Mozart auf ihrem tragbaren CD-Player. Wir haben eine Stunde damit verbracht, Illustrationen und Kunstwerke durchzublättern. „Wärst du nicht dabei gewesen, hätte ich genau das für dich ausgesucht, das du dir ausgesucht hast“, sagst du. Auf dem Bild sieht man eine Frau mit schwarzen Haaren, dichten Augenbrauen, eine Zigarette in den schlanken Fingern haltend, einen ansehend. Auch wenn ich das Bild nicht gekauft hätte, wäre es mir sicher immer im Kopf geblieben. Und ich hätte mich gefragt, wo das Bild gelandet wäre, was die Person gefühlt hätten, die es in ihre Wohnung mitgenommen, und wie ich am Abend noch etliche Male betrachtet hätte. Später am Abend landen wir in einer Bar, in der eine sichtlich zusammengewürfelte Gruppe Einheimischer Musik macht. Die Frau mit der blaugepunkteten Schleife und der geblümten Umhängetasche singt mit dem in Leder schwarzgekleideten Mann mit langen grauen Haaren und gezopften Bart All Along The Watchtower von Jimi Hendrix. Der Barkeeper redet nicht, brummt nur wie er es vermutlich seit Jahrzehnten hinter der Bar des schwarzbemalten, mit Postern und anderem Krimskrams beklebten Bar in der Seitenstraße tut: ein universelles Geräusch des „hier bitte“ und „danke“ als er unser Bier auf den Holztresen stellt, um sich anschließend wieder von der sturzbetrunkenen Dame drei Hocker weiter bei ihrem dreihundertsten Glas Wein vollquatschen zu lassen und seine Ruhe dabei zu haben, da diese auch keine Antwort von ihm zu erwarten scheint.

CENTINAIA DI COLORI AL FORNO

Wir stehen auf dem Parkplatz im Dunkeln, sind den ganzen Tag über Auto gefahren, im Stau gestanden und schließlich als die Sonne unterging an der Küste entlang gefahren, weil wir die Autobahn nicht mehr ertragen konnten. Wir fragen uns, wer Peter ist, der uns, ohne uns zu kennen, auf seine Ostergrillfeier mit Wein und Freunden eingeladen hatte und trotz unserer fünfstündigen Verspätung schrieb „No worries, I don´t know stress“. Er fährt mit einer Zigarre im fröhlich grinsenden Mund, trotz der späten Stunde mit weit geöffneten Fenstern und dem frischen Wind, einer Bahnfahrermütze auf dem Kopf, in seinem Jeep mit 80km/h die enge, steile und meist unbefestigte Bergstraße vor uns her. Das alte, steinerne Haus ist spärlich beleuchtet. Peter zeigt uns alles stolz, sagt „There are no rules here. Siamo tutti communisti.“ und düst wieder in die Dunkelheit davon. Wir sind allein. Durch die Ritzen in den Holztüren und Dielen strömt Luft, doch der Kaminofen wärmt gut, wenn man in den alten Sesseln direkt davorsitzt. Warmwasser gibt es nicht, Zeit irgendwie auch nicht. Vor den kleinen Fenstern sieht man nur den Nebel durch das Tal ziehen und die Blätter gegen das beschlagene Glas streichen. Immer wieder riecht es nach frischem Kaffee oder Essen, wenn du aus den für mich unzusammenhängend scheinenden Dingen in unserem Essensrepertoir eine Mahlzeit zubereitest. Ich habe einmal den Parmesan gerieben und mich dabei verletzt, deshalb sitz ich lieber daneben lese, und schau immer wieder zu, wenn du ankündigst, was du nun als nächsten Schritt beim Kochen planst. Du bist begeistert von den Farben in der Pfanne und wir benennen das Gericht „centinaia di colori al forno“. Wenn wir den Plattenspieler mit der buntzusammengewürfelten Musik ausschalten, ist es bis auf die Geräusche des Ofens komplett still im Haus.

Man merkt das Näherkommen des Endes einer Reise an der Frequenz der Frage „Weißt du auf was ich mich zuhause wieder freue?“. Die angesprochene Person schüttelt automatisiert den Kopf auf diese ohnehin natürlich rein rhetorische Frage. Wahrscheinlich tun wir das, um den Gedanken an das Ende erträglicher zu machen, um die Aussicht auf Zuhause im Kopf weniger als etwas Schlimmes  anzusehen. „Weißt du, worauf ich mich zuhause freue?“, frage ich dich am letzten Abend in der Hängematte, mit den Ästen der Bäume im gleichen Takt hin und herschaukelnd. Ich bin mir sicher du schüttelst mit dem Kopf und wartest auf meine Antwort, obwohl ich dich nicht sehe.

Fotos: Claudia Ploner

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