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Journalismus im Krisenmodus oder Krise im Journalismus

Als vor einem Jahr die Inseratenaffäre und das ÖSTERREICH-Beinschab-Tool Sebastian Kurz (ÖVP) aus dem Bundeskanzleramt katapultierten, hätte wohl niemand gedacht, dass Chefredakteure von Nicht-Boulevard-Medien ähnlich mit Politikern verbandelt waren oder sind. Vor rund einem Monat veröffentlichte Die Presse noch Chats von der Causa Schmid/Kurz. Jetzt ist ihr (ehemaliger) Chefredakteur und Herausgeber Rainer Nowak selbst involviert. Am 07. November stellte Nowak „seine Funktionen als Chefredakteur und Herausgeber der Presse aus eigener Entscheidung bis zum Vorliegen der Untersuchungsergebnisse ruhend“, am 11. November verließ er das Unternehmen laut einer Aussendung der Styria Media Group AG. Ähnlich erging es ORF-2-Chefredakteur Matthias Schrom – er musste direkt ganz zurücktreten. „ORF 1 ist noch viel linker“ schrieb er an Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Ganz umgänglich wurde sich in den Chats über Posten und Interventionsmöglichkeiten beim ORF ausgetauscht.

Dass manche österreichische Medien ein Problem mit der Distanz zur Politik haben, ist inzwischen nicht mehr abzustreiten. Unter dem Titel „Qualitätsjournalismus im Krisenmodus“ veranstaltete das interfakultäre Medienforum (IMS) der Universität Innsbruck am 10. November den diesjährigen Medientag. Damit wurde der Fokus schon im Vorhinein auf qualitativ hochwertigen Journalismus gelegt, der „basale Kriterien der Unabhängigkeit, der Richtigkeit, der Verständlichkeit, der kritischen Prüfung von Informationen sowie der ethischen Selbstkontrolle erfüllt“.

Im mit Kronleuchtern und Stuck gestalteten Kaiser-Leopold-Saal des Theologie-Campus fanden rund 100 Journalismus-Interessierte Platz und konnten den insgesamt dreistündigen Impulsvorträgen und Diskussionen zuhören und Fragen stellen. Nach der Eröffnung durch Rektor Tilmann Märk stieg Hermann Petz, CEO der Moser Holding, bei seiner Eröffnungsrede direkt in das Thema ein: „Ich sehe es als essenziell notwendig, dass Journalistinnen und Journalisten auch Beziehungen zu Entscheidungsträgern in Politik haben, aber die Distanz muss bewahrt werden“. Im folgenden ersten Impulsvortrag stellte Medienpädagogin und Sprachwissenschaftlerin Sabine Schiffer klar, dass durch Framing von Journalist*innen oft schon wichtige Fragen ausgeblendet würden, bevor die medienkonsumierende Person selbst ein Urteil über die erhaltene Information fällen könne. Auch die Fähigkeit, desinformationsfördernde PR-Strategien zu erkennen, sei für Mediennutzende genauso wie für Medienschaffende wichtig.

Haltung oder Gesinnung

Die Frage nach der Grenze zwischen Haltung und Gesinnung sei für Journalist*innen essenziell, so Sabine Schiffer. „Bei Haltung muss der Debattenraum gepflegt werden und offengehalten werden. Wen lässt man zu Wort kommen?“ Etwas anders sieht die zweite Vortragende, Journalistin Gabriele Krone-Schmalz, die Frage der Haltung: „Selbstverständlich soll sein, dass das Bemühen erkennbar wird, zwischen Information und Meinung zu unterscheiden. ‚Haltung zeigen‘ ist zu einer Art Kampfbegriff geworden. Wenn das heißt, dass man sich auf eine Seite im Meinungsstreit stellen soll, dann bin ich dagegen. Wenn Journalist*innen‚ Menschen auf den richtigen Weg‘ bringen wollen, dann handelt es sich um eine Entmündigung der Bürger“, meinte Krone-Schmalz. „Wenn sich dann ein Narrativ in der veröffentlichten Meinung durchgesetzt hat, wird dort die Deutungshoheit beansprucht und keine Argumente mehr ausgetauscht.“

Journalistische Tugenden

Im Laufe ihres Vortrags stellte Krone-Schmalz Tugenden für Journalist*innen vor. Darunter fielen unter anderem Mitgefühl ohne Partei zu ergreifen, Präzision ohne Langeweile zu verbreiten oder auch den Mut zu haben, als Journalist*in Nicht-Wissen zuzugeben. In der späteren Podiumsdiskussion griff Moderator Georg Laich diese Tugenden auf und fragte nach „der wichtigsten“. Tiroler Tageszeitung Chefredakteur Mario Zenhäusern meinte, dass man von diesen Tugenden nie genug haben könne; die Demut der Journalist*innen gegenüber der Menschen und Leser*innen sei allerdings am meisten in Gefahr. Susanne Scholl sieht das ähnlich: „Demut auch vor den Menschen, mit denen man zu tun hat. Zu wissen, dass man nicht alles weiß, sich irren kann und dass man es mit Menschen zu tun hat. Der Respekt vor den Menschen.“ Wenn Journalist*innen diese Tugenden einhalten, sei auch die Glaubwürdigkeit gegenüber Konsumierenden gegeben. Und „Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut, das wir Journalistinnen und Journalisten haben“, bekräftigte Johannes Bruckenberger, Chefredakteur der Austria Presse Agentur (APA).

von links oben: Georg Laich (ORF Tirol), Johannes Bruckenberger (APA), Hermann Petz (Moser Holding AG), Tilmann Märk (UIBK), Theo Hug (UIBK); von links unten: Mario Zenhäusern (TT), Sabine Schiffer, Susanne Scholl, Gabriele Krone-Schmalz

In den letzten Jahren rutschte Österreich im Press Freedom Index (Pressefreiheitsranking) von Platz 5 (2011) auf Platz 31 (2022). Verhaberungen von Journalist*innen und Poltiker*innen, die zu Postenversprechungen und Interventionsmöglichkeiten beim Programm der Medien führen könnten, haben diesen Abstieg im Ranking wohl begünstigt. Aber auch die Form und Höhe der Medienförderung in Österreich sei ein Problem. „In Österreich fehlt Medienpolitik, die Qualitätsjournalismus leistbar macht. Alle, die nicht mit Inseraten gefüttert werden, werden mit der geringen Medienförderung kurzgehalten“, so Mario Zenhäusern. Gleichzeitig würden journalistisch-hochwertige Formate und Medien, wie etwa der Radiosender OE1, „niedergespart“ werden, ergänzte Susanne Scholl.

Ein langer Abend ging mit einem eindeutigen Konsens am Podium zu Ende: Journalismus, der zu große Nähe zu politischen Akteur*innen pflegt, sei Gift für die Unabhängigkeit der Medien. Nur wenn diese Unabhängigkeit gegeben sei, könne die Glaubwürdigkeit erhalten bleiben.

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