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Widerständige Gefühle

Rezension

„Wen oder was wollen wir eigentlich hassen?“ fragt Seyda Kurt.
A) die Kapitalist*innen oder den Kapitalismus?
B) die Weißen oder den Rassismus?
C) die cis Männer oder das Patriarchat?
D) Menschen oder Systeme?

Klar beantwortet sie diese Frage nicht. Viel eher wirft sie in ihrem neuen Buch HASS erschienen im Harper Collins Verlag noch viel mehr Fragen auf. Und genau deshalb regt es zum Denken an.

In der Vorschau des Harper Collins Verlags habe ich vor einiger Zeit gesehen, dass ein neues Buch von Seyda Kurt erscheinen wird. Nachdem ich „Radikale Zärtlichkeit“ gelesen hatte, war ich sehr gespannt darauf, was als nächstes kommen würde. Und dann las ich den Titel: „HASS – Von der Macht eines widerständigen Gefühls“. Hass in Großbuchstaben. Ich war irritiert – Zärtlichkeit und Hass, wie passt das zusammen?

Dass ich mich selbst bisher viel zu wenig mit dem Thema Hass auseinandergesetzt habe, merke ich von der ersten Seite des Buches an. Auch Kurt bemerkt, dass es gesellschaftlich eher verpönt ist, zu hassen. Sie sieht jedoch in diesem Gefühl etwas Aktivierendes, Stärkendes und Revolutionäres. Für sie hat Hass transformatorische Macht.

Seyda Kurt beginnt bei Aristoteles mit einer historischen Perspektive auf die Rezeption von Hass. Dabei greift sie unter anderem Kolonialgeschichte(n) auf und fragt sich dabei:

Wer hat die Macht zu hassen?

Kurt (2023):29

Sie zeigt auf, was Hass mit der Vergeschlechtlichung von Emotionen zu tun hat und übt nicht nur dabei Kritik am Rechtsstaat, an Gefängnisse, an ausbeuterischen und ausschließlich auf Gewinnmaximierung ausgelegten Systemen. Und rückt dabei den Hass in ein positives Licht.

Mosaikartig und teilweise chaotisch näherte sie sich von vielen Seiten der Thematik Hass und fragt mehr als sie beantwortet. Manchmal weiß ich nicht, wo wir gerade sind, ich muss Absätze lesen und nochmal lesen, muss Seiten überspringen und dann wieder zurückkommen. Von Care-Arbeit springt Seyda Kurt zu Widerstandsgruppen in Nationalsozialismus, der Zusammenhang tut sich mir mit dem Wissen auf:

Wenn ich hasse, hört die Unterdrückung zwar nicht auf, aber meine Antwort kann sich verändern, meine Antwortmöglichkeiten.

Kurt (2023):69

Auf einfühlsame und sehr reflektierte Weise beschreibt die Autorin die Scham darüber, zu hassen, und sieht darin den Zusammenhang von Hässlichkeit und Hass.

~

Gerade merke ich, dass ich ein bisschen den Schreibstil von Seyda Kurt übernommen habe. Meine Rezension ist genau so mosaikartig wie das Buch selbst. Hoffentlich habe ich auch andere Dinge aus dem Buch übernommen,

~

Auch die Rache greift Seyda Kurt auf und was Hass mit Empowerment zu tun hat. Sie erzählt dabei Geschichten von Menschen, die den Hass als aktivierendes Gefühl annehmen, sowie Geschichten von Menschen, die kämpfen, verändern und überleben in einem System, das sie ablehnt.

Schonungslos und ehrlich bringt die Autorin mir bei, einen neuen Zugang zu einem Gefühl zu bekommen, das ich sonst unterdrücke. Auf 208 Seiten darf ich lernen und reflektieren. Ein Buch für alle, die sich kraft- und machtlos fühlen und etwas brauchen, das sie antreibt.


Wir danken dem Verlag für die Bereitstellung des Buches.

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