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Der Senf dazu: Bettlaken

Aufräumen und Putzen: Über das relative Verständnis von Ordnung, die Anstrengung beim Bettlaken beziehen und Flecken in der Form von Island.

Ich bin eher ein oberflächlicher Putzer. Mein Boden ist halbwegs gesaugt und der Schreibtisch weitgehend frei von Herumliegendem. Wehe aber der unwissenden Seele, die meinen Kasten öffnet! Ein Schwall aus Büchern würde ihr entgegenrasen wie eine Mure im Stubaital, sie überrumpeln mit Marxens Schonungslosigkeit und erschlagen von Kafkas Wortgewalt.

Richtig gründlich werde ich aber, wenn ich in der Prüfungsphase nach jeder Ausrede suche, um nicht vorm PC sitzen und coden zu müssen.
Erst jüngst zog ich wieder das Prokrastinieren dem Programmieren vor. Nachdem mein Zimmer bereits glitzerte und glänzte wie die Glatze von Meister Proper, stehe ich vor meinem Bett und überlege. Nur ein frischer Bettbezug würde noch fehlen, um mein Zimmer als „nach sämtlichen Regeln der Kunst geputzt“ abzustempeln.

Fast alles würde ich gerade lieber tun, als mich mit dem Lehrstoff jenes Studiums zu beschäftigen, für welches ich mich aus reiner thematischer Begeisterung einschrieb. Das Wechseln von Bettlaken aber liegt auf Platz drei der Dinge, die ich am meisten verabscheue auf dieser Welt (1. Nazis, 2. Schimmelkäse, 3. das Wechseln von Bettlaken). Deshalb frage ich mich ob des Dilemmas, warum Gott seine härtesten Prüfungen stets mir vorzubehalten scheint.

Versteht mich nicht falsch, ich bin kein Unmensch. Auch ich liebe ein frisch bezogenes Bett. Friedlich einschlummern zwischen weichen, reinen Laken, in einer Duftwolke von Ariel. Dicht eingepackt in einem Deckenburrito, wie saisonales Gemüse in den Dingern, die du in der Machete in der Anichstraße erwerben kannst. Und dennoch wechsle ich (und machen wir uns nichts vor: Auch du, werte* Leser*in!) meinen Bettbezug definitiv nicht oft genug. „Mindestens einmal die Woche wechseln!“, sagen sowohl Expert*innen, als auch die Mama und der Hausverstand. Die „Welt“ berichtet von einer britischen Umfrage aus dem Jahr 2022, nach welcher für viele Single-Männer dieser Richtwert nichts ist als Utopie : „Best I can do is alle vier Monate“, ertönt es aus den Kehlen von fast der Hälfte der befragten blokes.

O magnum mysterium

So stehe ich nun vor meinem Bett und warte auf einen Geistesblitz, der mir aus meiner Zwickmühle helfen würde. Als dieser ausbleibt, inspiziere ich mein Bettlaken. Einige Krümel und Fussel hatten sich darauf gesammelt. Nichts, was ein Staubsauger nicht bewältigen könnte. Einige Flecken längst vergessenen Ursprungs kann ich taktisch klug mit der Bettdecke verbergen und so aus dem Sinn schaffen. Dann wende ich den berühmten Schnüffeltest an, hebe meinen Polster zur Nase, inhaliere tief und fange fast an zu weinen. Den sollte ich doch tauschen.

Als ich aber den Polster wieder zurück auf das Laken legen will, erspähen meine tränenden Augen eine beunruhigende Irregularität. Etwas verwirrt halte ich inne und lege die Stirn in Falten.

Auf dem Platz, an dem normalerweise mein Kopfpolster liegt, leuchtet mir ein roter Fleck (etwa zweieinhalb Zentimeter im Durchmesser und erstaunlich präzise in der Form von Island) entgegen.

Ich menstruiere nicht.

Niemand, der auf diesem Laken schlief, menstruierte.

Blute ich aus der Nase, geheim und im Schlaf?

Das unangenehme Gefühl, irgendetwas wichtiges verpasst zu haben beschleicht mich. Ich beschließe, das Laken doch zu wechseln.

Größenwahnsinn

Ich stehe mit gefährlich erhöhtem Puls vor dem Kasten. Links und rechts von mir liegen, gestapelt wie die Opfer von Dschingis Khan, haufenweise Spannleintücher.

Falsche Größen.

Im gefalteten Zustand sehen sie alle exakt gleich aus, diese viel zu teuren Stofffetzen mit dem Gummizug. Ich muss jedes Leintuch einzeln aus dem Kasten nehmen und auseinanderklauben, um festzustellen, dass es ebenfalls nicht auf mein Doppelbett passt. Da nur Omas die Spezialfähigkeit entwickelt haben, die Dinger wieder ordnungsgemäß zusammenzufalten, bleibt mir keine Wahl, als sie läppisch zusammengerollt wieder zurückzulegen.

Als ich dann endlich ein passendes Tuch gefunden zu haben glaube, muss ich feststellen, dass es um ein paar Zentimeter zu klein ist, um beide meiner Matratzen einfassen zu können. Ich habe das Gefühl, jeden Moment grün anzulaufen und zu mutieren. Mein Bruder, der in der Tür steht und mir dabei zusieht, wie ich gegen das Bettlaken kämpfe und verliere, empfiehlt mir, die Matratzen einzeln mit kleineren Leintüchern zu überziehen. Ich schreie etwas von einer Lücke in der Mitte und Barbarei. Damit schlage ich ihn erfolgreich in die Flucht.

Hausbettsetzung

Ich finde dann aber doch noch ein passendes Leintuch. Frustriert schiebe ich mein Bett von der Wand weg, um mir den Zugriff auf dessen Ecken zu erleichtern. Ein weiteres Mal an diesem Tag runzle ich die Stirn, dieses Mal in Erstaunen.

Wer noch immer dem Irrglauben aufsitzt, der artenreichste Ort der Welt wäre im peruanischen Regenwald zu finden, der hat noch nie einen Blick unter mein Bett geworfen. Schnell google ich, ob sich unter meinen neuen Freunden vielleicht bedrohte oder sogar noch unbekannte Tierarten tummeln. Als meine Recherche nichts ergibt, überlege ich, die Hausbesetzung zu räumen, lasse es dann aber sein. Vielleicht sind unter dem Krabbelgetier ja auch ein paar linke Zecken.

Irgendwann und unter einiger Anstrengung schaffe ich es, meine ungelenke Motorik so zu koordinieren, dass das Spannleintuch halbwegs hält. Erschöpft und peinlich außer Atem lasse ich mich auf mein Bett fallen. Sofort fange ich wieder an zu weinen. Der Geruch meines noch immer nicht gewechselten Polsterbezugs ist so stechend wie der von frischen Zwiebeln. Ich schließe die Augen und versuche, das penetrante Aroma, das Wissen um die desaströs zusammengewickelten Laken in meinem sonst makellosen Bücherschrank und meine WG-Partner*innen unterm Bett zu ignorieren. Gedanklich stemple ich mein Zimmer als “nach allen Regeln der Kunst geputzt” ab. Im Endeffekt ist’s dann eh nur Definitionssache.

(Titelbild mit Stable Diffusion generiert)

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