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„Leerstellen, die ganze Welten füllen“

Was bedeutet der eigene Name? Welche Aufgabe und welches Schicksal wird uns durch den eigenen Namen auferlegt?

Was wird bestimmt durch unsere Herkunft, unsere Hautfarbe und unser Geschlecht? Und was bedeutet es, die eigene Geschichte zu schreiben, fern von auferlegten Eigenschaften und Menschenbildern?

„wenn deine stille sprechen könnte, liebes, wie ohrenbetäubend würde ihr weinen sein?“ (S.11)

Fragen, die sich alle stellen. Fragen, die alle etwas angehen und durch gesellschaftliche Strukturen doch manche mehr und andere weniger betreffen. Diese Fragen, Trauer, Schmerz und ein Gefühl der Machtlosigkeit lassen die Gedichte von Precious Chiebonam Nnebedums Lyrikdebüt „Birthmarks“ zurück. Der zweisprachige (Deutsch und Englisch) Gedichtband erschien im Oktober 2022 im Haymon Verlag. Er besteht aus längeren und kürzeren Texten, die teilweise ineinander verwoben sind.

Die Autorin wuchs in Nigeria und Österreich auf und ist in Graz und über die Grenzen hinaus als Poetryslammerin bekannt. Ihre mehrsprachigen Texte thematisieren ihr Leben als schwarze Frau in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft. 2020 wurde sie dafür mit dem Hauptpreis der Exil-Literaturpreise ausgezeichnet. Ihr Sprachgefühl findet sich sowohl in den Rhythmen ihrer Lyrik, als auch in gesungenen Texten, wie sie bei der Präsentation des Gewinntextes „The Gospel Road“ in Wien zeigte.

Ihre Worte zeichnen Bilder und Emotionen, die direkt unter die Haut gehen. In ihren Worten fragen Kinderaugen und weinen Krokodilstränen, Guavenbäume tanzen und starke Frauen zweifeln. Ein bunter Teppich aus Erinnerung, Erzählung und Ermächtigung. Die Texte werden durch farbenfrohe Collagen von Nancy B. Price ergänzt.

Nicht nur bunte und alltägliche Szenen zeichnet sie in zärtlichen Bildern, auch gewaltvolle Themen über Frauen und Kinder sowie Kolonialisierung und Missionarisierung lässt sie in ihren Texten nicht aus. Sie malt mit ihren Worten, die einem die Gänsehaut auf den Körper schreiben. Worte, die Gefühle zeigen und hervorrufen, ohne dabei belehrend sein zu müssen.

„ich trenne mich nur von all den Dingen, die ich dachte sein zu müssen.
dinge von denen ich mich viel zu lange beschreiben ließ, aber mit
der zeit fand ich dazu, mein eigenes Wörterbuch zu schreiben.“ (S. 107)

Es fällt schwer, komplexe und tiefgreifende Gefühle in Worte zu fassen. Umso schwerer fällt es mir, die Texte dieses Gedichtbandes und das Gefühl, das sie in mir auslösen, in Worte zu fassen. Precious Chiebonam Nnebedum selbst beschreibt mit ihren Worten weniger Gefühle im Speziellen, schafft es aber durch ihren Ausdruck und die Bilder, Gefühle zu schaffen und hervorzurufen. 

Das Buch wurde uns vom Haymon Verlag zur Verfügung gestellt.

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