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Eine Nachveranstaltungsbetrachtung

Tagebücher, vergangene Erlebnisse und Jugendsünden. Kunterbunt und laut, gespickt mit den Simplifizierungen des kindlichen Ichs – Das Publikum sitzt auf den roten Sitzen im Kino Metropol und lauscht den Einträgen aus alten Zeiten, vorgelesen von den vier Kandidatinnen des Abends. Der Raum ist erfüllt von Lachen, teilweise kann man auch gar nicht anders, als sich an den Kopf zu greifen. Ob man will oder nicht – man wird auf jeden Fall von der heiteren Stimmung mitgerissen.

Einen Tag später schaue ich auf das abgerissene Eintrittsticket in meiner Hand: „Tagebuch-Slam- am 22.1.2023 im Metropol Kino“-, steht darauf. Nur ein Stück Papier, das mich an gestern erinnert. Zuerst dachte ich, die Veranstaltung würde ein netter Zeitvertreib, ein bisschen leichte Kost in der Prüfungsphase werden. Stattdessen fand ich mich über mein Leben reflektierend, zwischen meinen Höhen und Tiefen wieder, vor mir die Tagebücher, herausgekramt aus dunklen Ecken, in denen protokolliert alles festgehalten wurde, was ich damals für wichtig erachtete.

Man erinnert sich wieder, wie früher alles war, die Begegnungen in der Schule, die Prioritäten, die damals ganz klar und unverhandelbar waren. Wie sich die Perspektiven ändern, die Simplifizierung der Gefühlswelt, wie sich einzelne Einträge auf „Ich habe heute Kuchen gegessen, mir geht es gut.“ beschränken und andere Einträge die Zwiespalte des jugendlichen Ichs wiedergeben.

Vor einem Jahr am selben Ort, in demselben Kleid, mit demselben Notizbuch, und doch heute so viel stärker und glücklicher. Alles, was einen trennt, ist die Zeit. Wir entwickeln uns weiter, nichts wird so bleiben wie es einmal war, wir selbst im ständigen Wandel, physisch wie psychisch. Jede einzelne Erfahrung verändert uns, jede neue Hand, die einem gereicht wird und jeder neue Moment, den man erleben darf.

Teilweise muss man sich auch selbst belächeln, damals schien es doch gänzlich undenkbar, den eigenen Problemen zu entfliehen, die heute so unbedeutend erscheinen.

Vor mir auf dem Schreibtisch stapeln sich kunterbunt Notizbücher, vollgekritzelt mit Gedanken, Ängsten und Wünschen, mit Erinnerungen und geheimen Auslegungen, die ich oft verstohlen bei Nacht im Licht der Schreibtischlampe den leeren Zeilen anvertraute. Meine wacklige Schrift, wenn die Gedanken schneller flossen als meine Hand schreiben konnte, über viele Seiten verteilt, die mich auf eine Achterbahnfahrt von Gefühlen und Erinnerungen schicken, sobald ich zu lesen beginne. Damals erschien so vieles extrem wichtig, was ich heute mit einem Schulterzucken abtun würde. So wird mein Zukunfts-Ich vermutlich genauso über mein jetziges Ich denken, wenn es meine Notizbücher, in denen ich derzeit meine Gedanken festhalte, aufschlagen wird.

Was hätte ich damals für diese Einsicht gegeben. Vielleicht braucht es ab und zu nur die Gewissheit darüber, dass man in 10 Jahren vermutlich kopfschüttelnd über die heutigen Probleme lächeln wird, wenn man einen Blick in das alte Tagebuch werfen sollte.

So begleiten mich an diesem Abend auf dem Weg nach Hause, noch immer diese Gedanken. Die Vergangenheit plötzlich so lebhaft in meinem Kopf als ich durch fließendes Laternenlicht gehe, mit bildlichen Eindrücken aus diesen anderen Welten.

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